- Umweltpolitik im 21. Jahrhundert
- Umweltpolitik im 21. JahrhundertSaubere Luft, sauberes Wasser und gesunde Böden sind Grundvoraussetzungen allen irdischen Lebens, auch des menschlichen. Trotzdem gelten ungebremste industrielle Aktivität und rauchende Schlote in weiten Teilen der Welt auch heute noch als Inbegriff für Wohlstand, Wirtschaftswachstum und technischen Fortschritt. Immer mehr Materialien werden als hochwertige Rohstoffe aus Wasser, Luft und Erde entnommen und als klimaschädigende Abgase in die Atmosphäre geblasen, als giftige Abwässer in Flüsse und Meere geleitet oder als Müll im Boden vergraben. Und obwohl der finanzielle und technische Aufwand täglich wächst, mit dem die negativen Folgen dieser Lebensweise korrigiert werden müssen, ist immer noch kein durchgreifendes globales Umsteuern in Sicht.Wir laufen heute, am Ende des 20. Jahrhunderts, wieder einmal Gefahr, den Schutz unseres Lebensraums Erde ganz der »steuernden« Hand des freien Markts zu überlassen und Politik und Staat in die Rolle des neoliberalen Nachtwächters zurückzudrängen: Nach dem Ende des Wettstreits der Systeme droht die ungebremste Globalisierung der Weltwirtschaft die Oberhand über alle ökologischen Belange zu gewinnen. Die ökologischen Probleme gehen einher mit wachsenden sozialen Spannungen und sind mit diesen auch ursächlich verknüpft. Die Produktivität der menschlichen Arbeitskraft wurde seit der industriellen Revolution durch den Einsatz von Energie und Maschinen so weit gesteigert, dass heute in den Industriestaaten ein Heer von Arbeitslosen vor den Toren computergesteuerter, vollautomatisierter Fabrikhallen und den von ihnen erzeugten Müllhalden steht — zynisch spricht man von »Wohlstandsmüll«, bestätigt dabei aber ungewollt den Zusammenhang zwischen ökologischen und sozialen Auswirkungen der Krise. (»Wohlstandsmüll« war — mit Recht — das Unwort des Jahres 1997. Es stammt aus einem Zitat des Verwaltungschefs des Nestlé-Konzerns vom Oktober 1997: »Wir haben einen gewissen Prozentsatz an Wohlstandsmüll in unserer Gesellschaft. Leute, die keinen Antrieb haben, halb krank oder müde sind, die das System einfach ausnutzen.« Mit dem Begriff Wohlstandsmüll werden also in unserer Industriegesellschaft kranke und unverschuldet arbeitsunfähige Menschen als Abfall diskreditiert.)Zu alledem kommt die ungleiche Verteilung von Arbeit, Reichtum und Umweltbelastung zwischen den Industriestaaten des Nordens und den verarmten Regionen des Südens. Tschernobyl, Treibhauseffekt, Ozonloch, saurer Regen, Kriege und millionenfache Wanderungsbewegungen sind Stichworte für die Geschenke, die Pandora in ihrer Büchse für uns bereithält; sie sind der hohe Preis, den wir, und mit uns die gesamte Natur, für die permanente Überlastung der Umwelt, die Übernutzung der Ressourcen und eine ungerechte Weltordnung zahlen müssen.Wie können wir diese Entwicklung aufhalten und zu einer globalen und lokalen Wirtschaftsweise kommen, die die Voraussetzungen menschlichen Lebens für uns und zukünftige Generationen erhält? Welche Probleme treten dabei auf und wie können wir ihnen heute und in Zukunft entgegentreten?Die Emissionen des IndustriezeitaltersWährend die Arbeiterschicht gegen die soziale Ausbeutung schon Ende des 19. Jahrhunderts soziale und politische Reformen erkämpfte und damit die negativen Folgen der industriellen Revolution milderte, wurden schmutzige Schaumkronen auf den Flüssen und Rauchschwaden in der Luft, kurz die »Emissionen« von Industrie und Verkehr, erst in den 1960er-Jahren von einer breiteren Öffentlichkeit als Warnsignal wahrgenommen. 1970 erließ die sozialliberale Regierung unter Bundeskanzler Willy Brandt ein Sofortprogramm zum Umweltschutz mit dem Ziel, dass »der Himmel über der Ruhr wieder blau werde«. Aber erst die Medienresonanz auf das Waldsterben, welches die »urdeutsche Seele« anrührte, sowie die Katastrophe von Tschernobyl (1986) verhalfen dem Umweltschutz in den 1980er-Jahren zu einer wirklich breiten gesellschaftlichen Akzeptanz. Der öffentliche Druck erzwang Luftreinhaltungsmaßnahmen, Filteranlagen für Industrieanlagen und Kraftwerke und die Einführung von Katalysator und bleifreiem Benzin für die »heilige Kuh« der Deutschen, das Auto. Auch heute noch werden Emissionen von den meisten als das Hauptproblem im Umweltschutz angesehen. Emissionen belasten für alle sichtbar Wasser, Luft und Böden und müssen daher vermieden werden.Alte und neue Grenzen des WachstumsDie Knappheit der natürlichen Ressourcen, also z. B. der Vorräte an Rohstoffen und Energieträgern, wurde hingegen lange Zeit kaum als Problem gesehen. Zwar veröffentlichte Dennis Meadows schon 1972 seine Studie »Die Grenzen des Wachstums« für den Club of Rome, in der er erstmals die Endlichkeit der Ressourcen herausstrich. Weil man jedoch immer neue und größere Öl-, Gas- und Kohlevorkommen entdeckte, wurde — trotz rasant wachsenden Verbrauchs — die Reichweite der Reserven eher nach oben als nach unten korrigiert. Eine breitere öffentliche Diskussion über die Knappheit der Ressourcen flammte nur kurz auf, als 1973/74 und 1979/80 die beiden Ölpreiskrisen zu staatlich verordneten Fahrverboten, den »autofreien Sonntagen«, führten. Trotzdem kann niemand leugnen, dass fossile Rohstoffe auf der Erde prinzipiell nur begrenzt verfügbar sind — egal ob die geschätzte Reichweite nun bei 10, 100 oder 1000 Jahren liegt.Der TreibhauseffektIn den beiden Jahrzehnten nach der ersten Meadows-Studie rückten im Umweltbereich neue Probleme mit ungeahnten Konsequenzen und Dimensionen in den Vordergrund. Besonders anschaulich wird dies bei der vom Menschen verursachten Verstärkung des natürlichen Treibhauseffekts in der Erdatmosphäre. Durch die Anreicherung von Kohlendioxid, das bei der Energieerzeugung freigesetzt wird, in der Atmosphäre drohen Klimaänderungen mit dramatischen Folgen für die ganze Menschheit. Die theoretischen Grundlagen des Treibhauseffekts sind zwar schon seit 1827 bekannt, als der französische Physiker Jean-Baptiste Fourier erstmals die Parallele von den Vorgängen in einem Treibhaus zum Wärmehaushalt der Atmosphäre erkannte. Doch erst in den letzten zwei Jahrzehnten erlangte dieses Thema wissenschaftliche Bedeutung, politische Konsequenzen sind bis heute fast nirgendwo gezogen worden.Nicht nur dieses Phänomen lenkte den Blick von der Knappheit der natürlichen Vorräte hin zur Knappheit des für unsere Abfälle zur Verfügung stehenden Raums. Nicht mehr die Endlichkeit der Ressourcen steht im Vordergrund, sondern die begrenzte Aufnahmefähigkeit der Ökosysteme für Emissionen, Schadstoffe und Abfälle aus menschlichen Aktivitäten. Diesen Aspekt stellte Meadows daher 1992 in seiner zweiten Studie für den Club of Rome als »neue Grenzen des Wachstums« heraus.Vom Rohstoff- und Müllproblem zum ökologischen DenkenTreibhauseffekt, Ozonloch und Waldsterben haben in mehrfacher Hinsicht zu einer erheblichen Aufweitung des Problemverständnisses beigetragen.Orientierte sich die Problemwahrnehmung bisher an einzelnen »Schadstoffen«, so zeigt die Entwicklung, dass letztlich im Paracelsus'schen Sinn »die Dosis das Gift macht«, also jeder Stoff gefährlich werden kann, wenn er in genügend großer Menge in Umlauf gebracht wird. Es sind auch gar nicht mehr einzelne, eindeutig als Schadstoffe identifizierte Substanzen das Hauptproblem, sondern generell die vom Menschen losgetretene Lawine unterschiedlichster Stoffe, ihre Verteilung in allen Bereichen der Erde und ihr meist nicht vorhersehbares Zusammenwirken. In vielen Bereichen übersteigen die vom Menschen verursachten Stoffströme mittlerweile die natürlichen Stoffströme erheblich. In den natürlichen Kreisläufen werden freigesetzte Stoffe zudem immer auch wieder abgebaut. Dies trifft auf die vom Menschen verursachten Stoffströme — wenn überhaupt — nur sehr begrenzt zu: Wir produzieren, ohne zu wissen, wohin mit dem Produkt.Umweltprobleme treten nicht mehr nur lokal oder regional begrenzt auf. Zunehmend zeigen sich auch globale Folgen unseres Lebens und Wirtschaftens. Seit Beginn der Industrialisierung sind etwa 90 Prozent des energiebedingten Kohlendioxids von wenigen Industrieländern im Norden freigesetzt worden, die Folgen werden aber alle Länder tragen müssen. 1996 lebten 18 Prozent der Weltbevölkerung in den reichsten Ländern der Welt, diese 18 Prozent verursachten aber 86 Prozent des globalen Konsums und Ressourcenverbrauchs. Nicht die mehr als fünf Milliarden Menschen, welche die restlichen 14 Prozent verbrauchen, sind also das Problem, sondern der Lebensstil in den Industrienationen und seine grenzenlose Gefährlichkeit.Nicht nur die globale Reichweite der heutigen Probleme, sondern auch die teilweise unvorstellbaren Zeiträume, über die sie sich erstrecken, rücken zunehmend ins öffentliche Bewusstsein. Dies gilt nicht nur für den Treibhauseffekt. Auch die Auswirkungen der Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) zeigten sich erst viele Jahrzehnte nach deren Freisetzung. Erst als die FCKW-Moleküle in die Stratosphäre gelangt waren, entfalteten sie — lange Zeit noch unbemerkt — ihre ozonzerstörende Wirkung. Weil noch so viele FCKW in der Atmosphäre »gespeichert« sind, wird das Ozonloch — trotz des auf der Montrealer Konferenz von 1987 vereinbarten mittelfristigen Produktionsstopps — noch viele Jahrzehnte bestehen bleiben.Ein besonderes Problem hinsichtlich der zeitlichen Dimension stellen radioaktive Abfälle dar. Die Halbwertszeiten von Tausenden, Zehntausenden oder gar Hunderttausenden von Jahren übersteigen alle menschliche Vorstellungskraft. Es ist eine grenzenlose Überheblichkeit, diese Zeiträume für eine Endlagerung überblicken zu wollen. Es ist gerade einmal 10 000 Jahre her, dass zu Beginn der Jungsteinzeit Jäger und Sammler in Mitteleuropa sesshaft wurden und Eifel und Rheinland eine der vulkanisch aktivsten Regionen Europas waren.Tagtäglich offenbaren uns Umweltforschung und -analytik neue Probleme, die uns bislang noch nicht bekannt waren, die aber schon lange als »Zeitbomben« irgendwo im Ökosystem tickten. Viele der früheren Altlasten blieben lange Zeit verborgen, weil es natürliche Abbaumechanismen, Filterwirkungen oder Pufferkapazitäten im Ökosystem gab oder noch gibt, die erst mit ihrer Überlastung und Erschöpfung die eigentlichen Probleme zu Tage treten lassen. Das dynamische und komplexe Zusammenwirken in Ökosystemen führt häufig auch zu kaum vorhersehbaren Entwicklungen und abrupten Zusammenbrüchen im System. Die Waldschadensforschung hat dies eindrucksvoll belegt.Auch die Ergebnisse der Klimaforschung belegen die Möglichkeit solcher abrupten Brüche. Wenn sich etwa durch das teilweise Abschmelzen polarer Eismassen die Meeresströmungen ändern, könnte der Golfstrom versiegen mit dem Effekt, dass in Mitteleuropa — trotz globaler Erwärmung — in weniger als zehn Jahren die Durchschnittstemperatur um fünf Grad Celsius oder mehr absinken würde; dies entspräche einem Klima, wie es in Südalaska oder Ostsibirien herrscht.Wie wurde bisher reagiert?Es gibt verschiedene Möglichkeiten, auf diese alarmierenden Tatbestände zu reagieren. Die Varianten reichen vom Wegschauen bis zum Versuch, die Produktionsprozesse als Ganze auf kleinstmögliche Schadstoffemissionen hin zu optimieren.Die erste und nächstliegende Strategie, mit den Problemen umzugehen, besteht darin, so lange als möglich wegzusehen. Wenn die Probleme dann eine Größe erreichen, die solch eine Vogel-Strauß-Politik nicht mehr zulässt, versucht man die Größe der lokalen Schäden einfach durch eine weitflächige Verteilung oder Verlagerung des Mülls wieder zu verringern. Emissionen werden durch solch eine »Politik der hohen Schornsteine« in die weitere Umgebung verteilt, sodass beispielsweise Schwefeldämpfe aus Industrie und Kraftwerken bis nach Grönland gelangen können. Belastete Abwässer werden in Flüsse und Meere »verklappt«, und wenn die Kapazitäten der heimischen Deponien und Verbrennungsanlagen nicht ausreichen, wird der Müll einfach exportiert.Nach diesem Sankt-Florians-Prinzip wird es vor der eigenen Haustür oder in der direkten Nachbarschaft zwar sauberer, dafür steigen aber die Belastungen in anderen Regionen oder sogar global. In schwedischen Seen kommt es zum Fischsterben durch Emissionen aus englischen Industrieanlagen, Waldschäden zeigen sich fernab der Emissionsquellen. Daher wurde aufgrund des wachsenden Drucks von Öffentlichkeit und Umweltverbänden der »End-of- Pipe«-Umweltschutz entwickelt und gesetzlich implementiert.End-of-Pipe-Lösungen und OrdnungsrechtBeim End-of-Pipe-Umweltschutz wird versucht, direkt am Ende der Produktionskette (pipe steht englisch für »Abflussrohr«) anzusetzen. Dieses Konzept heißt auch »nachsorgender Umweltschutz«, da die Produktion zunächst unberührt gelassen wird, erst danach werden die entstandenen Emissionen behandelt. Dabei wurden verschiedenste Filtertechniken entwickelt: Kraftwerke und andere Verbrennungsanlagen erhielten Rauchgasentschwefelungs- und -entstickungsanlagen, Kläranlagen wurden erweitert, Mülldeponien wurden abgedichtet und Müllverbrennungsanlagen mit teuren Filteranlagen gebaut. Die Stunde der Grenzwerte hatte geschlagen. Zentralheizungen, Industrieanlagen und Autos mussten bestimmte Emissionsgrenzen einhalten. Umwelttechnik wurde in Deutschland zu einer Wachstumsbranche und zu einem Exportschlager.Der Erfolg der klassischen Umwelttechnik führte zu einem Nachlassen des öffentlichen Drucks: Wo keine Schaumkronen mehr auf den Flüssen und keine Rauchfahnen mehr über den Schornsteinen zu sehen waren, wähnte sich der überwiegende Teil der Bevölkerung in Sicherheit. Bis auf den heutigen Tag wird die Politik nicht müde, auf diese Erfolge zu verweisen. Aber auch diese Lösungen sind in Wirklichkeit meist nur Scheinlösungen, weil wieder nur vorhandene Probleme verlagert werden und oft sogar neue Probleme entstehen. Die bisher räumlich verteilten Belastungen werden nämlich in den Filter-, Klär- und Verbrennungsanlagen zu hoch konzentriertem Sondermüll. Da die Grenzwerte politisch ausgehandelt werden, sind sie meist zu großzügig festgelegt und hinken dem Stand der Technik oft hinterher. Wo Ordnungsrecht und Grenzwerte walten, sind zudem auch Kontroll- und Vollzugsdefizite nicht weit. Außerdem liegt nachsorgender Umweltschutz nicht im Interesse der betroffenen Emittenten, da der »nachgeschaltete« Umweltschutz zu zusätzlichen Kosten für Filter, Nassabscheider und Ähnlichem führt. So wuchs die Erkenntnis, dass langfristig wirksamer und durchsetzbarer Umweltschutz nicht allein aus nachsorgender Umwelttechnik bestehen kann.Öko-Audits und integrierter UmweltschutzDie Diskussion wendet sich deshalb immer mehr vom End-of-Pipe-Ansatz ab, hin zum »integrierten« Umweltschutz, der bereits an der Entstehung der Emissionen ansetzt.In einer zunehmenden Zahl von Unternehmen wird der gesamte Produktionsprozess im Rahmen von Öko-Audits und Umweltmanagementsystemen (z. B. ISO 14 001) auf freiwilliger Basis unter die Lupe genommen. Leitidee ist dabei die Minimierung der Stoffflüsse. Sowohl die zur Produktion eingesetzten Materialien und Energien als auch die direkt in der Produktion entstehenden Emissionen sollen so weit wie möglich vermindert werden. Positiver wirtschaftlicher »Nebeneffekt« ist vor allem die damit verbundene Senkung der Rohstoff-, Energie- und Entsorgungskosten. Integrierter Umweltschutz ist daher meist billiger als nachsorgender.Solange allerdings die noch am Anfang der Entwicklung stehenden Ansätze zu Öko-Audit und Umweltmanagementsystem nur auf freiwilliger Basis verwirklicht werden, ist fraglich, wie viel sie in dieser Form für die Umwelt leisten können.Wie muss Umwelttechnik und -politik in Zukunft aussehen?Für eine erfolgreiche Umweltpolitik stellen sich an der Wende zum 21. Jahrhundert zwei Fragen:—An welchem Leitbild soll sich die zukünftige Umweltpolitik orientieren und—mit welchen Instrumenten kann sie umgesetzt werden?Die heute in Umweltforschung und -politik im Grundsatz allgemein akzeptierte Antwort auf die erste Frage heißt »zukunftsfähige« oder »nachhaltige Entwicklung«, auf Englisch »sustainable development«. Deren Grundidee ist es, die Bedürfnisse der heutigen Generationen so zu befriedigen, dass die Bedürfnisse der kommenden Generationen nicht beschränkt werden. (Der Begriff der Nachhaltigkeit ist der Forstwirtschaft entlehnt; dort bedeutet er einen Wald so zu bewirtschaften, dass nur so viel Holz entnommen wird, wie im Wald natürlich nachwächst.)Zugleich müssen alle Menschen auf der Erde die gleichen Möglichkeiten zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse bekommen, während heute noch Wenige auf Kosten Vieler leben. Umweltpolitische Probleme können nicht isoliert von der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung gelöst werden. Ebenso falsch ist es, zuerst ökonomischen Wohlstand anzustreben und erst danach ökologische und soziale Folgewirkungen eines ungebremsten Wachstums mildern zu wollen. Notwendig sind integrierte Ansätze, die eine ökologisch, sozial und ökonomisch dauerhaft tragfähige Entwicklung vereinen. Zukunftsfähige Umweltpolitik ist also gleichzeitig immer eine langfristig tragfähige Sozial- und Wirtschaftspolitik.Die Umsetzung dieser Politik wird vor allem auf drei Feldern geschehen: der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, der Steigerung der Effizienz des Wirtschaftens und einer Veränderung des Verbrauchsverhaltens, die mit dem Begriff »Suffizienz« umschrieben werden kann.Erhalt und Sicherung der LebensgrundlagenDer Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen ist zunächst keine rein quantitativ fassbare Kategorie, sondern muss auch Qualitäten im Blick haben. Diese Qualitäten werden letztlich durch Vielfalt, Multifunktionalität und Vernetztheit der Systeme bestimmt — das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Produktionsanlagen ebenso wie Produkte dürfen nicht nur funktional sein, sondern müssen auch dem Anspruch der Ästhetik genügen, zumal wenn sie uns lange Freude machen sollen — dies muss auch für unsere natürliche Umwelt gelten! Das bedeutet, dass beispielsweise nicht nur die Versiegelung des Bodens durch Siedlungs- und Verkehrsflächen aufhören muss, sondern dass auch die bereits versiegelten Flächen wieder lebenswerter und ihren vielfältigen Aufgaben gerecht werden müssen. Dächer und Plätze müssen begrünt werden, um die Luft reinigen zu können, Tieren und Pflanzen Lebensraum zu bieten und Regenwasser wieder zu Grundwasser werden zu lassen. Nicht versiegelte Flächen dürfen nicht nur der Land- und Forstwirtschaft dienen, sondern gleichermaßen dem Erholungswert der Landschaft sowie Schutz und Erhalt von Arten und Biotopen. Unabhängig von dem potenziellen wirtschaftlichen Nutzen der noch verbliebenen natürlichen Artenvielfalt (Biodiversität) gilt es, die Vielfalt der Arten und der Natur als Ganzes auch aufgrund ihres Eigenwerts zu schützen und zu erhalten.Vor dem Hintergrund der immer weiter wachsenden Weltbevölkerung lassen sich selbst die Grundbedürfnisse der Menschheit nur mit einer wesentlich höheren Ressourcenproduktivität decken. Bekanntlich liegt der jetzige Naturverbrauch der westlichen Industrieländer weit über der Kapazität unserer Erde; würde die Bevölkerung Chinas so leben wie die Deutschlands oder der USA, so würde sich allein der weltweite Kohlendioxidausstoß mindestens verdoppeln! Unser Lebensstil ist nicht übertragbar und muss dringend umgestaltet werden — und zwar bevor die Länder des Südens unsere Art des Wirtschaftens übernehmen. Nur wenn wir uns ändern, können wir die Länder des Südens motivieren, sich ebenfalls umzustellen.Um die Ressourcenproduktivität anhaltend zu erhöhen, können mehrere Wege beschritten werden:Eine Möglichkeit besteht darin, durch technische Veränderungen — etwa besseres Design, intelligentere Konstruktion sowie verbesserte Möglichkeiten, Produkte zu reparieren und nachzurüsten — den Materialverbrauch zur Herstellung von Produkten zu verringern und deren Lebensdauer zu verlängern.Ein anderer Weg wäre, die ressourcenintensiven Stoffe durch ressourcenschonendere bzw. nachwachsende Rohstoffe zu ersetzen und dadurch Ressourcen und Umwelt ganz erheblich zu entlasten.Eine weitere Möglichkeit, die Ressourcen effizienter zu nutzen, ist die Entkopplung der »Produktdienstleistung« vom Eigentum des Produkts, bekannt unter dem Stichwort »Konsumgütersharing«. Viele Produkte werden vom Kunden primär nicht gekauft, um sie zu besitzen, sondern wegen der Dienstleistungen, die das Produkt ihm geben kann. Ein Beispiel ist das Carsharing — die gemeinsame Nutzung von Autos. Allerdings darf der Produktbesitz kein Statussymbol sein — gerade beim Auto eine nicht unerhebliche Einschränkung. Es gilt aber andererseits heute schon in manchen Kreisen als »chic«, kein Auto zu besitzen und stattdessen Mitglied in einem Carsharingverein zu werden und das eingesparte Kapital für ökologische Investitionen, etwa eine Sonnenkollektoranlage auf dem Hausdach, oder die Erfüllung kultureller Bedürfnisse einzusetzen.Ein grundlegender Kurswechsel kann jedoch nur durch eine Veränderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erreicht werden. In der Vergangenheit wurde menschliche Arbeit für die Betriebe immer teurer, weil sie die Kosten der gesellschaftlichen Solidarsysteme und Gemeinschaftsaufgaben tragen mussten (Steuern, Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung). Energie und Rohstoffe wurden hingegen bisher tendenziell immer billiger. Eine ökologische Steuerreform, die den Verbrauch von Ressourcen und insbesondere Energie verteuert und im Gegenzug den Einsatz menschlicher Arbeitskraft entlastet, ist ein wichtiger Ansatzpunkt für das notwendige generelle Umsteuern des Wirtschaftssystems.Neben der eher technisch-organisatorischen »Effizienzrevolution« ist ein grundlegender Wandel der Produktions- und Konsumgewohnheiten erforderlich. Dieser Wandel hat mittel- bis langfristig eine tief greifende Änderung von Wertvorstellungen sowohl zur Folge wie auch zur Voraussetzung. Während »Effizienz« für die technisch-organisatorische Dimension eines Übergangs zur Nachhaltigkeit steht, bietet sich »Suffizienz« als Begriff für die soziokulturelle Dimension an. »Suffizient« bedeutet »ausreichend«, während »effizient« mit »wirtschaftlich« übersetzt werden kann: Es geht also darum, nicht nur mit möglichst wenig Rohstoffverbrauch zu produzieren, sondern überhaupt nur so viel zu produzieren, wie für die Bewahrung eines naturverträglichen Wohlstands ausreicht. Natürlich hängt dies von den Wertvorstellungen ab, mit denen »Wohlstand« und »ausreichend« definiert wird — der erste Schritt ist aber auf jeden Fall, um mit Erich Fromm zu sprechen, vom »Haben« um des Habens willen zum »Sein«, zum Wohlfühlen zu gelangen.Suffizienz bedeutet Effizienz auf einer höhe- ren Ebene: Während die Effizienzperspektive das Verhältnis zwischen wirtschaftlichem Input und Output in den Blick nimmt, steht bei der Suffizienzperspektive das Verhältnis zwischen wirtschaftlichem Output und gesellschaftlichem Wohlstand zur Debatte. Der permanente Konsumismus führt uns dies täglich vor Augen: Es wird zwar immer mehr gearbeitet, um sich immer mehr leisten zu können, aber es bleibt immer weniger Zeit, die Dinge zu genießen. Wachsende Produktivität steht sinkendem gelebtem Wohlfühlen entgegen. Ein positiver Ansatz in die Richtung zunehmender Suffizienz ist beispielsweise die seit Mitte der 1990er-Jahre weltweit zu verzeichnende Abkehr vieler Konsumenten vom »Fast Food«.Die Einspareffekte durch erhöhte Ressourceneffizienz können also durch das Wachstum der Gütermenge oder ihren verstärkten, unreflektierten Gebrauch »aufgefressen« werden. Gelang es beispielsweise der Automobilindustrie in den vergangenen Jahrzehnten, den Energieverbrauch eines Autos erheblich zu senken, so wurde dies durch immer mehr sowie immer größere, immer häufiger und immer schneller fahrende Autos mehr als ausgeglichen. Dies ist nur einer der Gründe dafür, dass eine zukunftsfähige Entwicklung nur in der Kombination von Effizienz und Suffizienz erreicht werden kann. Nur wenn wir die Produkte suffizient nutzen, kann die Effizienzsteigerung der Umwelt zugute kommen!Chancen zur UmsteuerungIn den 1980er- und zu Beginn der 1990er-Jahre hatte der nachsorgende Umweltschutz seinen vorläufigen Höhepunkt. Die zweite UN-Weltkonferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro ebnete zwar den Weg zu einigen international verbindlichen Abkommen zum Schutz des Klimas, zur Biodiversität oder zum Stopp der Wüstenbildung. Dort wurde auch die »Agenda 21« unterzeichnet, eine umfangreiche Handlungsanweisung für eine nachhaltige globale Entwicklung im 21. Jahrhundert. Doch die wirtschaftlichen Probleme auf globaler Ebene drängten den Umweltschutz seitdem wieder an den Rand. Der Zusammenbruch der Wirtschaft in Osteuropa nach dem Fall des »Eisernen Vorhangs«, die Überschuldung vieler Länder, Finanzspekulationen und Bankenpleiten vor allem in Asien — all dies ließ Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung bei den Entscheidungsträgern in Wirtschaft und Politik fast bedeutungslos werden. Auch auf nationaler Ebene führten die finanzielle Belastung nach der Wiedervereinigung und die konjunkturelle Flaute bei wachsender Arbeitslosigkeit zu ökologischem Stillstand. Ebenso kam es auf sozialer Ebene zu weiteren Rückschritten. Die Wettbewerbsfähigkeit auf globalen Märkten ist nach wie vor ein übermächtiges »Totschlagargument«.Immerhin ist in Deutschland und einigen anderen europäischen Ländern zumindest ein zaghafter Einstieg in die ökologische Steuerreform geschafft. Darüber hinaus liegt in Deutschland mittlerweile in fast 1 200 Gemeinden (Stand: Mitte 1999) ein Ratsbeschluss für eine nachhaltige Entwicklung auf kommunaler Ebene — eine lokale Agenda 21 — vor. Regionale Zusammenschlüsse stellen sich »globalen Supermärkten«, »verlängerten Werkbänken« und unsinnig langen Transportwegen entgegen, erhalten so Arbeitsplätze vor Ort und erhöhen die Wertschöpfung in der Region.Dies gilt im Norden genauso wie im Süden, wo heute die ländliche Bevölkerung ihr Heil in den Megastädten sucht, aber in Slums landet. Während im Norden die »neue Armut« weiter zunimmt, hat sich im Süden die alte Armut längst wie ein Geschwür ausgebreitet und festgesetzt. Das Gefälle zwischen hauchdünner Oberschicht und Massenarmut wächst genauso wie das Gefälle zwischen Nord und Süd — und die Ursachen sind oftmals die gleichen.Wir brauchen eine Rückbesinnung auf unsere Grundlagen, darauf, dass wir natürliche und soziale Wesen sind, die von der Natur existenziell abhängig sind. Allein ein Politik(er) wechsel reicht hierfür nicht, es bedarf vielmehr eines grundlegenden Werte- und Bewusstseinswandels, neuer Produktions- und Konsummuster und neuer Wohlstandsmodelle. Diese Entwicklung kann auf lokaler und regionaler Ebene beginnen, eine Veränderung der Rahmenbedingungen auf globaler Ebene ist aber die notwendige Voraussetzung für ihr Gelingen. Neben einer Entschuldung der Entwicklungsländer sind weltweit verbindliche ökologische und soziale Standards für Produktion und Handel notwendig. Wir brauchen eine globale Gesellschaftsordnung, die ökologische und soziale Aspekte endlich gleichberechtigt neben ökonomische stellt, damit der Kurswechsel in die Zukunftsfähigkeit gelingt.
Universal-Lexikon. 2012.